Gesundheit

11.000 Fachkräfte dürfen nicht arbeiten, wie sie könnten

Bundesweit fehlen tausende Pflegekräfte. Ein großer Teil des Mangels ließe sich einfach beheben – wenn es weniger Bürokratie gäbe.

von Anette Dowideit

Von Vietnam ins Vogtland gegen den Pflegenotstand
Vietnamesische Pflegerinnen in einer Schulung in einem Pflegeheim im Vogtland. Viele kommen jedoch nicht als Auszubildende, sondern fertig ausgebildete Pflegefachkräfte. Quelle: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Jan Woitas

Regelmäßig schlagen die Branchenvertreter der Pflege wieder Alarm: Der Mangel an Pflegefachkräften im Land sei riesig, und er wachse von Jahr zu Jahr. Das liegt zum einen daran, dass die Menschen in Deutschland immer länger leben und damit häufiger lange Jahre pflegebedürftig sind. Und zum anderen daran, dass viel weniger junge Leute Alten- oder Krankenpfleger werden wollen, als man Fachkräfte bräuchte.

Derzeit, so rechnete kürzlich der Deutsche Pflegerat vor, würden bundesweit 115.000 Pflegefachkräfte fehlen. Und in zehn Jahren würden es eine halbe Million sein. Die Folge ist, dass überall im Land Familien verzweifelt darauf warten, Angehörige in Pflegeheimen unterbringen zu können. Denn den Heimbetreibern fehlt es an Personal, um die Betroffenen versorgen zu können.

Pflegestau durch Bürokratie

Ein recht großer Teil dieses Problems ist aber hausgemacht – durch die deutsche Bürokratie. Derzeit stecken rund 11.000 fertig ausgebildete Pflegekräfte aus anderen Ländern teils seit Monaten im sogenannten Anerkennungsverfahren fest.

Diese Zahl hat der Pflegeverband bpa (Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste) für CORRECTIV bei seinen Mitgliedsunternehmen erfragt – also bei Pflegeheimbetreibern.

Jene rund 11.000 Pflegekräfte sind demnach in ihren Heimatländern zu Pflegefachkräften ausgebildet worden und wären von ihren Kenntnissen her sofort für die Pflege einsetzbar. Das heißt, sie können eigenverantwortlich Medikamente verabreichen, Spritzen setzen, Pflegepläne für Pflegebedürftige erstellen und die Verantwortung für die im Pflegedienst besonders unbeliebten Nachtdienste übernehmen.

Besser gesagt: Sie könnten es theoretisch. Praktisch nämlich dürfen die Heimbetreiber sie nicht als Fachkräfte einsetzen, solange sie nicht den erforderlichen Stempel der jeweils zuständigen Behörde auf ihren Arbeitserlaubnissen tragen. Von den 11.000 Kräften soll etwa die Hälfte, also rund 5.500, von den Betreibern perspektivisch in der Altenpflege eingesetzt werden, die andere Hälfte in Krankenhäusern.

Fachkräfte, die offiziell als Hilfskräfte arbeiten

Zum großen Teil arbeiten die Pfleger, um die es geht, laut bpa schon jetzt in deutschen Pflegeheimen und Krankenhäusern – allerdings als sogenannte Hilfskräfte. Das bedeutet, dass sie Bewohnern zwar beim Essen helfen oder der täglichen Körperhygiene helfen dürfen, sie aber nicht eigenverantwortlich pflegen dürfen. Und somit können Heimbetreiber mit ihnen im Personalplan auch keine neuen Pflegeplätze schaffen.

Der bpa hat auch hochgerechnet, wie viele neue Pflegeheimplätze bundesweit von heute auf morgen geschaffen werden könnten, wenn jene 5.500 Pflegefachkräfte sofort die erforderliche Arbeitserlaubnis bekämen: Er kommt auf mehrere tausend. Die deutsche Bürokratie verhindert demnach für viele Familien, dass ihre pflegebedürftigen Angehörigen in ein Heim einziehen und dort versorgt werden können.

„Die Familien stehen unter massivem Druck, Angehörige müssen die eigene Berufstätigkeit reduzieren oder sogar ganz aufgeben. Das ist ein gesamtgesellschaftliches Problem“, sagt der Präsident des Verbandes bpa, Bernd Meurer.

Welche Behörde dafür zuständig ist, die Abschlüsse der ausländischen Fachkräfte anzuerkennen, ist von einem Bundesland zum nächsten unterschiedlich: Ausländerämter sind beteiligt, zudem Anerkennungsbehörden, die mal den Landesregierungen, mal den Bezirksregierungen unterstehen.

Forderung an die neue Gesundheitsministerin

Der bpa richtet sein Anliegen, für schnellere Anerkennungsverfahren zu sorgen, an die neue Bundesregierung – vor allem an die designierte Gesundheitsministerin Nina Warken. „Die neue Bundesgesundheitsministerin muss sich dringend um die Sicherung der pflegerischen Versorgung kümmern”, sagt bpa-Chef Meurer. Ihr Vorgänger im Amt, Karl Lauterbach (SPD) habe dies „sträflich vernachlässigt.“

Konkret fordert der Verband, künftig nach sogenannter Kompetenzvermutung vorzugehen. Das heißt, dass internationale Pflegekräfte mit mindestens dreijähriger Ausbildung und ausreichenden Sprachkenntnissen sofort als Fachkräfte eingesetzt werden dürfen – und die offizielle Anerkennung später erfolgen kann. Laut Verband wäre dies innerhalb weniger Tage per Verordnung vom Bundesgesundheitsministerium durchsetzbar.

CORRECTIV hat das Bundesgesundheitsministerium gefragt, ob es dieses Vorgehen für sinnvoll hält. Die Pressestelle des Ministeriums schreibt dazu, das Ministerium könne nichts zu den Plänen einer Ministerin sagen, die noch nicht im Amt ist.

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